Die Zitate sind aus einer Sendung am Sonntag, 2. Januar 2011, 8.30 Uhr, im SWR2.
Hier der gesamte Text und das dazugehörige mp3: www.swr.de
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Dass uns die Zeit so schnell zu verrinnen scheint; dass wir uns oft gehetzt fühlen, deutet nach den Gehirnforschungen zu unserem Zeitempfinden darauf hin, dass wir gedanklich nicht gefordert sind, dass wir uns mit der Kette der Augenblicke nicht denkend auseinandersetzen, dass wir einigermaßen geistlos durch den Tag treiben, obwohl die Angebote zur Wahrnehmung bildlicher Eindrücke und akustischer Signale in den städtischen Kulissen und häuslichen Medienausstattungen so zahlreich sind wie nie zuvor.
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In unserer Erlebnisgesellschaft, die den Zeitvertreib zur raffiniertesten aller öffentlichen Künste erhoben hat, hat sich eine Falle aufgetan: Wir scheinen zu vergessen, dass es unsere Lebenszeit ist, die da im Wortsinn vertrieben wird - und dass wir dies selbst wünschen und wollen. Die Kunst der Kurzweiligkeit und des Amüsements ist darum erfolgreich wie keine andere.
Foto: liegender Buddha, Ban Tha Len, Thailand (foto:icks) |
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„Was ist alles, was wir tun, anderes, als eine nervöse Angst, nichts zu sein: von den Vergnügungen angefangen, die keine sind, sondern nur noch ein Lärm, ein anfeuerndes Geschnatter, um die Zeit totzuschlagen, weil eine dunkle Gewissheit mahnt, dass endlich sie uns totschlagen wird.“ So räsoniert Musil in seinem Mann ohne Eigenschaften.
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Das gelangweilte Hinnehmen der Freiheit als einer Selbstverständlichkeit, die sie nie war und nicht ist und nie sein wird;
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Sie (Anm. Bankern und Spekulanten) haben das Selbstverständnis von Oligarchen, denen nichts besseres passieren kann, als dass wir, die von ihnen bestohlen wurden, uns mit tapferem Konsum gegen die Krise wehren und uns mit einem Apparat von Vergnügungen und Zerstreuungen betäuben, der als Ventil für den Volkszorn noch ausreicht.
Die Raubritter, die uns ungestraft und mithilfe unserer eigenen, von ihnen angeheizten Gier nach Renditen in den Schuldenabgrund gestoßen haben, können ihren Hedonismus ausleben, indem sie auf unsere Bereitschaft spekulieren, uns durch die Ablenkungsindustrie ruhig stellen zu lassen.
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Wer nicht mehr in den Spiegel sehen mag, greift nach jeder Ablenkung von sich selbst.
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Die virtuelle Werbewelt, in der aus einsichtigen Gründen an jedes Produkt eine Glücksverheißung geklebt wird, hat sich mit der realen Welt der Erfahrung derart intim vermengt, dass es konzentrierter kritischer Aufmerksamkeit bedarf, nicht selbst in dies Spiegelkabinett hinein gezogen zu werden.
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Das Heiterkeitsdiktat der Werbung färbt auf Fernsehprogramme ab, und Knalleffekte der Filmindustrie finden sich in den Werbespots des Fernsehens wieder. Einer eifert dem anderen nach und versucht, ihn zu übertreffen.
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Wir werden in nächster Zukunft eine auf Multimediabildschirmen zusammengeführte interaktive Datenwelt aus Film, Internet, Computerspielen, Heimarbeit, privater Kommunikation, Werbung und Fernsehprogrammen bekommen, ganz ähnlich der, die Ray Bradbury 1953 in seinem Science-Fiction-Roman Fahrenheit 451 beschrieben und François Truffaut 1966 verfilmt hat: Eine Dystopie, in der der Alltag von infantilem Fernsehamüsement beherrscht wird.
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Sie (Anm. Die erfolgreichsten Fernsehabende) dienen dem Zeitvertreib und der Zerstreuung einer Gesellschaft, die, selbst wenn sie es wollte, ihre sozialen Probleme vor lauter Schulden auf absehbare Zeit nicht einmal ansatzweise lösen kann und darum unter den Teppich kehrt. So lange, bis er brennt. Und dass er brennen wird, ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
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Halten wir uns unabgelenkt überhaupt noch aus? Wer in seinem Straßentelefon zugleich einen Fotoapparat, eine Videokamera, einen Internetzugang mit facebook und twitter, email, SMS, MMS, Computerspiele und einen ganzen Kaufladen von Klingeltönen mit sich herumträgt, kann diese erstaunliche Erfindung zwar durchaus sinnvoll nutzen - er kann sich aber auch im Angebot tausender Abschweifungen verlieren, ja ihnen verfallen. Weil die Erlebnisgesellschaft Spaß haben will, sofort und in der Tasche, kann die Zeitvertreibindustrie zum Zweck ihres wirtschaftlichen Erfolgs den kritischen Gebrauch ihrer Einrichtungen verhindern. Sie braucht keine autonomen Menschen, sondern Dauerkonsumenten ohne Bewusstsein. Wir, die so genannten Nutzer, sollten lernen, diesem permanenten Übervorteilungsprozess standzuhalten.
(via Corni)
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