Sonntag, September 26, 2010

Steiermark 2020: Der Algorithmus aus der Spielsuchtspirale.

Graz, Mai 2020.
Wie die Polizei meldet, kommt es in den letzten Monaten vermehrt zu makaberen Vorfällen in der illegalen Spielszene. Um ihre Spielsucht finanzieren zu können, riskieren manche Menschen sogar den Verlust von Körperteilen.
Pressesprecher der Grazer Polizei Tim Dahl über die Vorfälle: „Eine größere Gruppe aus dem illegalen Spieletablissement scheint Spaß daran zu haben, sadistische und groteske Wetten mit Spielsüchtigen abzuschließen. Spielsüchtige riskieren für die Chance eines größeren Geldbetrages, sich Körperteile wie Finger oder Zehen abhacken zu lassen.“
Derzeit scheint die Polizei machtlos zu sein, da Betroffene aus Angst vor Verfolgung nur beschränkt Hinweise zu den Tätern geben.
Interview mit Sergei Astley, Preisträger des Steiermärkischen Innovationspreises 2020.

F: Herr Astley, Sie sind seit zwanzig Jahren in der Steiermark und haben sich seit dieser Zeit einen großen Namen in der Mathematik gemacht.
Diesen Monat haben Sie den Steiermärkischen Innovationspreis 2020 gewonnen. Die Juroren begründeten ihre Entscheidung damit, dass Ihre Innovation einen großen Beitrag zur Prävention der epidemiologischen Spielsucht darstellen könnte.
Als Mathematiker beschäftigen Sie sich naturgemäß mit der Spieltheorie, aber wie kommen Sie zur Spiel- bzw. Spielsuchtprävention?
A: Sehen Sie, als Mathematiker neige ich dazu, mein Umfeld recht trocken zu analysieren. Auch nehme ich mir heraus, sagen zu dürfen, dass ich gesellschaftliche Trends wertfreier beurteile als viele politische Entscheidungsträger - sowohl aus der Vergangenheit als auch von heute. Das klingt arrogant, aber in Wirklichkeit habe ich nur den bedeutsamen Vorteil, dass ich mein Wertesystem nicht in ein enges Korsett aus kurz- und mittelfristigen ökonomischen und politischen Überlegungen zwängen muss.
Vor diesem Hintergrund musste ich seit Anfang dieses Jahrtausends hilflos mit ansehen, wie sich die schöne Steiermark langsam, aber stetig zu einem Nährboden für die Verbreitung der Spielsucht entwickelte.
Aus meiner Einflusslosigkeit beschloss ich, zusammen mit der Station der Pathologischen Spielsuchtambulanz des Grazer LSF ein langfristiges Forschungsprojekt zur Suchtprävention zu starten. Mit Hilfe von vielen Feldstudien gelang es uns, den Entwicklungsverlauf zum pathologischen Spielen genauer zu verstehen. Aus diesen Daten konnten wir einen Algorithmus entwickeln, der aus dem Spielverhalten eines Spielers die Wahrscheinlichkeit einer absehbaren Spielsucht extrapoliert und Empfehlungen für die zukünftige Spielgewohnheit geben kann.

F: Ist dieser extrapolierte Wert hinreichend genau, und wie könnte man diesen Algorithmus in bestehenden Wettcafes, Spielhallen etc. implementieren?
A: Die Wahrscheinlichkeit einen potentiellen Spielsüchtigen zu erkennen, steigt mit der Dauer der Spielbeobachtung. So kann eine zuverlässige Aussage getroffen werden, wenn der Algorithmus über das existierende Netzwerk der Spielautomatenbetreiber implementiert wird. Technisch gesehen kann das bestehende System der Alterserkennung mit Hilfe der Bankomatkarte erweitert werden, um einen Spieler auch an unterschiedlichen Spielautomaten über lange Zeit zu screenen.
Als Reaktion einer steigenden Wahrscheinlichkeit zur pathologischen Spielsucht könnte der Automat mit Empfehlungen zum richtigen Spielverhalten als Suchtprävention reagieren. Nichteinhaltung würde dann zu einem temporären Spielverbot führen.

F: Alle Wettanbieter zur Einführung dieses Systems zu bringen, würde eine gravierende Gesetzesänderung benötigen!
A: Das bemerken Sie richtig! Und genau in diesem Punkt verbirgt sich auch die Schwachstelle unsere Entwicklung. Ohne einen breiten Konsens unserer Landespolitiker, gepaart mit dem Willen endlich aus der Spielsuchtspirale unseres Landes auszubrechen, geht der Nutzen des Spielsuchtalgorithmus gegen Null. Mut und Beharrlichkeit sind zwingende Randbedingungen, um gegen die tief verankerte Spielerlobby vorzugehen und das System zu implementieren. Courage und Weitsicht wären wieder einmal angesagt.

F: Neben der Tatsache, dass die Zunahme der Spielsüchtigen die Beschaffungskriminalität rasant ansteigen ließ, gibt es auch eine Glücksspielmafia. Involvierte werden oft so unter Druck gesetzt, dass Selbstmorde und Morde keine Seltenheit sind. Neuerdings hört man auch von Selbstverstümmelung zur illegalen aber schnellen Geldbeschaffung (siehe oben).
Glauben Sie nicht, dass ein Spielverbot Spielsüchtige dazu bringt, anderwärts ihre stoffunabhängige Sucht zu stillen? Kritiker könnten ihrem System vorhalten, dass es zu einem zusätzlichen Aufkeimen mafiöser Verhältnisse führt.
A: Sie haben völlig Recht, viele Spielsüchtige werden mit allen Mitteln versuchen, wieder an ihre Droge zu kommen. Es steht auch außer Frage, dass die Einführung des Algorithmus zu einem kurzfristigen Anstieg des illegalen Spiels führen wird.
Dem gegenüber stehen jedoch zwei Effekte.
Erstens unterstützt das System Süchtige, die willig sind, eine Therapie durchzuziehen. Sehen Sie sich doch mal Graz an! Wettlokale stehen in jeder Straße. Ein Spielsüchtiger kommt somit bei jeder Gelegenheit in die Versuchung zu spielen. Wird er schwach, hat er die Möglichkeit sofort zu spielen. Mit Hilfe des Algorithmus muss er schon mehr Aufwand treiben, wieder spielen zu können.
Zweitens führt eine Implementierung dazu, dass sich Gefährdete mit ihrem Problem auseinandersetzen müssen. Sie werden damit konfrontiert, dass das unkontrollierte Spielen eine Gefahr darstellt. Der Automat bringt seinen Benützer dazu, auf sein Spielverhalten bewusst zu achten, motiviert durch die Möglichkeit des Weiterspielens. Auch ein Spielverbot muss einen Benützer nicht gleich zum illegalen Spiel bringen. Der Algorithmus verbietet das Spielen nur temporär. Nach einer Zwangspause hat der Spieler die Möglichkeit mit verantwortungsbewusstem Spielen seine Besserung zu beweisen und in legalen Spielcafes weiterzuspielen.
Ich bin überzeugt, dass der Weg eines Menschen vom unproblematischen zum pathologischen Spieler durch den Algorithmus länger und schwieriger wird. Die viel zitierte Mafia wird damit leben müssen, dass der rasche Zuwachs der Kunden abgelöst wird, von einem langsam aber stetig sinkenden Zustrom von pathologischen Spielern.

F: Herr Astly, seit Sie in der Steiermark wohnen, haben Sie sich immer sehr zynisch über heimische Politiker geäußert. Was verärgert Sie so?
A: In der Tat sprechen Sie damit einen heiklen Punkt bei mir an. Ich reagiere allergisch, wenn Politiker nicht weiter als eine Legislaturperiode denken. In komplexe und dynamische Systeme wird übereilt eingegriffen, um unmittelbare Ergebnisse zu erhalten. Dass damit langfristig Probleme eingehandelt werden, wird verdrängt und -noch schlimmer- in Kauf genommen.
Die Spielsuchtspirale ist ein passendes Beispiel.
Seit ich hier in der Steiermark lebe, musste ich zusehen, wie Politiker die Zeichen der Zeit nicht erkannten. Die Freude an den schnellen Steuereinnahmen führte zu blindem Aktionismus. Traurigerweise waren die Glücksspielbefürworter ein bisschen weitsichtiger. Strategisch wurden die wichtigen Positionen mit den passenden Köpfen besetzt und die richtigen Hebel bewegt, um langfristig im Geschäft zu bleiben.

F: Können sie Ihre Aussage vielleicht konkretisieren?
A: Nun, nehmen wir den Anfang des Jahrtausends. Die Steiermark und Kärnten waren Vorreiter mit der Legalisierung des "kleinen Glückspiels". Wettcafes und Lokalitäten mit einarmigen Banditen schossen wie Pilze aus dem Boden. Die Lobbyarbeit war auch schon auf vollen Touren. Niemanden wunderte es zum Beispiel, wenn Vorstände aus Glückspielfirmen einflussreiche Positionen in öffentlichen Ämtern einnahmen. Die Spielmaschine war so gut im Laufen, dass erste Indikatoren nicht beachtet wurden. Beispielsweise Fälle von Veruntreuungen auf Grund von Spielsucht traten bei allen sozialen Schichten vermehrt auf. Zeitungsberichte über Verurteilung bei Arbeitern, Bankbeamten und Fußballmanagern waren keine Seltenheit.
Im Jahr 2012 wurden zwar die Anzeichen eines epidemiologischen Problems deutlicher, dennoch gelang der Spielerlobby ein gefinkeltes Geschäft mit den Politikern.
Tatsache war, dass der Wind für die Spielerlobby durch zahlreiche Eröffnungen von Spieltempeln in Slowenien und Italien nahe der steirischen Grenze härter geworden war. Die Gesetze mussten wieder angepasst werden.
Da passte es ins Konzept, dass der politische Druck auf die Landeseltern zu dieser Zeit durch ein hausgemachtes Problem enorm war.
Die steirische Thermenlandschaft wurde über viele Jahre wahllos mit Förderungen überhäuft.
Warnungen über ausbleibende Gäste wurden ignoriert, und weitere Thermen gebaut. Schließlich kam der Kollaps, die Thermengesellschaften konnten nicht mehr gehalten werden.
Ein großer Imageverlust stand auf dem Spiel. Unter diesen Voraussetzungen wurde das Allheilmittel geboren: Bet & Spa. Ein langfristiges Projekt mit einer Mischung aus Körperwohlbefinden, Familienabenteuer und Spielhölle wurde aufgezogen. Die Spiellobby hatte es geschafft. Gesetze wurden geändert und der Ruf der "Corporate Social Responsibility" wurde gefestigt, da sie ja der Retter einer ganzen Branche waren. Und das Beste: die Möglichkeit die zukünftige Kundschaft vorzeitig zu konditionieren war ebenso gegeben. Während die Eltern in Ruhe spielten und entspannten, konnten die Kinder lernen nach amerikanischem und asiatischem Vorbild mit Plastikjetons Teddybären zu gewinnen. Das Familienparadies.
Wohin das Konzept geführt hat, ist uns ja heute bekannt.

F: Herr Astley, ich danke Ihnen für das Gespräch, und wünsche Ihnen viel Erfolg, bei der Durchsetzung Ihres Algorithmus.
A: Wir werden unser Bestes geben - darauf können sie wetten!

Text:
"Steiermark:Innovation:2020
2008
Leykam Buchverlagsgesellschaft m.b.h. NFg.&Co KG
ISBN 978-3-7011-7611-3
Autor: Simon Ickinger
Foto: Steffen Strassnig, www.augennerv.at

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